Aus dem Wunsch geliebt zu werden, in die Liebe – Luna Müller

Ein Interview von Isabell Jahn mit Luna U. Müller zur Trilogie des Enneagramms 

Frage: Luna, du begleitest seit vielen Jahren Menschen auf dem inneren Weg und unterstützt sie bei der Arbeit der Hinwendung zu sich selbst. Ein wichtiges Werkzeug dabei ist das Enneagramm. Im Oktober wirst du ein Treffen leiten zu einer der Grundkräfte des Enneagramms, der unerfüllten Liebe „Vom Wunsch geliebt zu werden – in die Liebe“. Wie beschreibt das Enneagramm diese Welt der unerfüllten Liebe? 

Luna: Das Enneagramm beschreibt die drei Grundkräfte der Schöpfung und wie wir durch fixierte, also festgehaltene, von der Realität abgetrennte Standpunkte, diese drei Grundkräfte verlieren und auch verzerren. Das Enneagramm ist eine komplexe Angelegenheit, aber wenn man es auf einen ganz einfachen Nenner bringt, beschreibt es drei Bewegungen, wie das Ich die Realität verlässt: durch eine Gegen – Bewegung, eine Weg – Bewegung oder eine Hin – Bewegung. Das heißt, es geht bei dem Thema der unerfüllten Liebe um eine Hin – Bewegung, in der wir das, was jetzt ist verlassen, um zu etwas vermeintlich Besserem hinzustreben; natürlich mit der guten Absicht, Liebe zu bekommen, ein liebenswerter Mensch zu werden; ohne aber zu merken, dass genau durch diese Bewegung hin zu einem anderen Ort die Liebe und die Anwesenheit im Herzen verlassen werden. 

Frage: Du sagst, dass es ein Streben gibt weg von dem, was ist, hin zu „einer besseren Realität“. Bedeutet es dann, dass ein Mensch, der in dieser Fixierung lebt, das, was gerade ist, gar nicht als Liebe wahrnimmt? 

Luna: Ja. Wir haben uns bestimmte Bilder von der Liebe gemacht, Bilder von uns selbst als einem liebenswerten Menschen, Bilder, wie Beziehungen auszusehen haben, auch Gefühlsbilder, wie sich Liebe anfühlen sollte, und nach der Verwirklichung dieser Bilder streben wir dann. Und wenn so ein tief verwurzeltes Bild nicht erfüllt wird, fühlt sich dieser Moment nicht als Liebe an. Es scheint etwas zu fehlen. Und dieses tiefe Gefühl von Mangel begleitet die Welt der unerfüllten Liebe. 

Frage: Es gibt ja dennoch auch Momente der Erfüllung. Woran merke ich denn, dass ich in einer Welt der unerfüllten Liebe gefangen bin und leide? 

Luna: Diese Momente der Erfüllung sind ja sehr vergänglich und daran könnte ich merken, dass die Liebe, die ich gefunden zu haben glaube, noch nicht substantiell ist. Oft ist es ja auch die sich wiederholende Erfahrung von Enttäuschung, die uns aufmerksam macht für eine möglicherweise vergebliche Suche. Wo suche ich die Liebe denn? Und finde ich sie da wirklich? Das wären ja wichtige Fragen, die wir uns stellen können.

Die Suche nach Liebe hat vordergründig oft etwas Lebendiges, z.B. wechselnde Beziehungen, immer wieder neue, kreative Projekte, Ideen, die ich verwirklichen möchte. Aber in der Tiefe gibt es ein Getriebensein durch die tiefe Überzeugung, dass ICH jetzt falsch bin, dass ich JETZT nicht genüge. Und darin liegt ein Leiden, was wir fühlen, wenn wir tiefer fallen und empfänglich werden. 

Fixierung heißt ja auch, dass die innere Welt, in der wir leben, so normal für uns geworden ist, dass sie uns gar nicht mehr auffällt, z.B. diese ständige Suche, das Vergleichen, die Abwertung von dem, was wir jetzt sind. Das scheint ganz „natürlich“ zu sein. Und deshalb ist es so kostbar, wenn wir die Botschaft bekommen: „Halte doch mal inne und frage dich, ob du überhaupt in der Realität lebst!“ 

Frage: Wie kann Innere Arbeit, wie sie in der Trilogie, und jetzt im Treffen im Oktober geschieht, dabei unterstützen, mich meinem Leiden zuzuwenden, statt ihm auszuweichen ? 

Luna: Dass du überhaupt deinem Leiden nicht mehr ausweichen, sondern ihm begegnen möchtest, ist gar nicht selbstverständlich. In einer fixierten Ich – Welt ist ja nicht nur das Leiden enthalten, sondern auch ein verführerisches Glücksversprechen. Wir würden diesem Ich-Geist nicht so konsequent folgen, wenn darin nicht auch enthalten wäre: Wenn du dich genügend anstrengst, wenn du dich selbst verbesserst, wenn du ein Mensch wirst, der alles richtig und gut macht, dann… ja dann wirst du die Liebe bekommen, besser und schöner sein als alle anderen, erfolgreich, geliebt, begehrt etc. 

Die Innere Arbeit stellt diese ganze Welt in Frage. Sie beleuchtet das System eines Geistes und behandelt nicht nur die Symptome. Sie zeigt dir, dass es nicht darum geht, dich noch mehr anzustrengen für die Liebe, sondern hinterfragt grundlegend den Liebesmangel, in dem wir leben. Das ist ihr Geschenk. 

Und das betrifft nicht nur Menschen, die in der Welt der unerfüllten Liebe fixiert sind. Jedes Ich möchte ja geliebt werden, möchte jemand sein, der liebenswert ist, und verkauft sich auch ein Stück weit für dieses Geliebtwerden. Jedes Ich fühlt sich in der Tiefe im Mangel, das ist schmerzlich. Die Innere Arbeit zeigt uns, dass wir diesen Mangel in Frage stellen können und deckt auf, dass der Geist etwas verspricht, was er nicht wirklich hält. 

Frage: Wie findet ein Wandlungsprozess statt, wenn Veränderung nicht durch meine altbekannten Strategien geschieht, indem ich der Karotte hinterher renne und immer schneller laufe, sondern anhalte. Wie wandelt sich überhaupt etwas in mir, wie ist das möglich, wie geschieht das? 

Luna: Das ist eine wesentliche Frage, die man sich oft nicht so genau stellt. Die Wandlung passiert eben 180 Grad anders herum, als wir uns das oft vorstellen. Ein Punkt ist ganz sicher, dass wir eine Bereitschaft entwickeln, unserem Leiden zu begegnen, z.B. der Unerfülltheit, des Mangels, der Suche nach Liebe. Dass wir uns überhaupt eingestehen, immer noch zu suchen, uns immer noch unerfüllt zu fühlen, obwohl wir vieles erreicht haben, dass etwas nicht gestillt ist in unserer Tiefe. Das ist ein wichtiger Schritt, denn wir sind erst einmal mit der Kompensation unseres Leidens beschäftigt. Innezuhalten, uns davon berühren und treffen zu lassen; das ist eine ganz wichtige Basis für Wandlung.

Frage: Und auch ein schwerer Schritt, weil er das Selbstbild, das ich von mir selber aufgebaut habe und nach außen aufrechterhalte, in Frage stellt oder auch kaputt macht. 

Luna: Das stimmt, denn du musst dir eine Form des Scheiterns eingestehen. Das ist ein gutes Eintrittstor in eine wirkliche Selbstbegegnung, das ist auch ein Moment der Wahrhaftigkeit und der Ehrlichkeit mit dir selbst. Der andere wichtige Punkt der Wandlung ist, dass wir in dem Sehen dieses Geistes, in der Begegnung mit ihm überhaupt erkennen: das bin gar nicht ICH; das sind Mechanismen, denen ich folge, die ich gelernt habe, Automatismen. Dieses Erkennen löst auch die Verklebung damit. Und das wiederum öffnet uns für neue Erfahrungen, zum Beispiel mit der Liebe, die JETZT geschieht, die nicht in meiner Vorstellungswelt oder in meiner Hoffnung passiert, sondern hier und jetzt. Ich kann erfahren, dass Liebe jetzt da ist, anders als ich dachte, und ganz nah und berührend. 

Die Innere Schule lehrt diese Bewusstheit über den Geist und seine Strukturen und öffnet den Raum für neue, frische, reale Erfahrungen. Es ist so wichtig, dass wir uns „eines Besseren belehren“ lassen und dazu können eine Schule und ein Lehrer sehr dienlich sein. 

Frage: Wenn jemand fragt: Warum soll ich an dieser Erforschung teilnehmen? Was würdest du ihm antworten? 

Luna: Bist du es dir wert, dich dem zu widmen, was wahr ist und wer du wirklich bist? Kannst du nachvollziehen, dass es auf diesem Weg hilfreich ist zu sehen, wer du nicht bist, für wen du dich hältst? 

Dann ist die Innere Schule ein Ort, der dich darin vollkommen unterstützt. Und das Treffen der Trilogie „Vom Wunsch geliebt zu werden – in die Liebe“ eine gute Gelegenheit, dich diesem Anliegen zu widmen und am Ort der Stille, im modernen Kloster zu sein und zu verweilen. 

Saunstorf, September 2017