Prinzessinnenmärchen – Einblicke in die Welt der unerfüllten Liebe


Für ein Buchprojekt wurden Frauen, die in der Enneagramm-Struktur der Vier fixiert sind, gebeten, ein Märchen zu verfassen über eine Prinzessin, die auf der Suche ist nach der Liebe. Im Folgenden findest du sechs dieser Erzählungen, die auf berührende und persönliche Weise die Welt der unerfüllten Wünsche offenbaren und die daraus erwachsende Sicht auf das Leben beschreiben. Dabei werden auch Wandlungsimpulse eingeläutet, die einen Weg aus der geschlossenen geistigen Blase in die Befreiung aufzeigen.



Prinzessinnen-Märchen

Es war einmal ein kleines Mädchen, das schaute in den Spiegel und wunderte sich: „Das soll ich sein? Das bin ich nicht!“ Es hatte eine Ahnung, dass da etwas anderes, etwas Großes sein musste oder jemand Großes. Doch so sehr es sich anstrengte, es konnte es nicht erfassen. Aber das Kind konnte andere Dinge sehen: Waldgeister und Feen, Engel und die Seele von Verstorbenen. Wenn es den Erwachsenen davon erzählte, sagten die zu den Eltern des Mädchens: „Ihr müsst aufpassen, die Kleine spinnt!“ Da wurde das Kind traurig und wütend und beschloss, nichts mehr zu sagen. Jeden Tag ging das Mädchen zu den Nachbarn, die keine Kinder hatten. Dort war es gerne gesehen und wurde verwöhnt. Der Mann war lange im Krieg gewesen und konnte nicht mehr arbeiten. Er hatte Zeit und spielte mit dem Kind. Die Kleine fand das wunderbar, dass sie endlich so wichtig war. Der Mann fand die Kleine süß und zeigte ihr, was ein Mann mit einer Frau macht. Die Kleine hatte große Angst, aber sie spürte auch, dass sie Macht hatte über den Mann.
Daheim erzählte sie nichts. Dort merkte sie, dass der Vater gerne einen Sohn gehabt hätte. Da strengte sich das Mädchen an und versuchte alles, um wie ein Junge zu sein. Es schnitt die Haare ganz kurz, spielte Fußball, trieb jeden Sport, den der Vater gut fand und hörte auf zu essen, als es zur Frau heranwuchs. Wenn es sehr schwach war, hatte es den Eindruck, dass nur ein zarter Schleier zwischen ihm und dem Geheimnisvollen lag, das es schon immer suchte. Vielleicht fände sie es im Himmel, vielleicht wenn sie tot wäre? Wenn sie sich umbrächte, würde Gott sie strafen, da war sie sicher. Das war kein Weg. Sie musste um jeden Preis ein besserer Mensch werden, sonst wäre alles verloren. Die Mutter wusste sich keinen Rat mehr mit dieser Tochter und schimpfte: „Du bist so eine richtige Prinzessin auf der Erbse! Nichts ist dir recht, keiner passt dir! Der Prinz für dich muss erst gebacken werden!“ Aus dem Mädchen war eine junge Frau geworden. Sie hatte sich einen Beruf gesucht, der eigentlich nur für Männer gedacht war und der ihr ein bestimmtes Ansehen verlieh und insgeheim auch Macht. Sie würde den Männern zeigen, dass sie besser war und mehr wusste als sie alle. Und so zog sie in den Kampf. Sie dachte, sie kämpfte für Gott, die Liebe und die Wahrheit.
Sie hasste sich noch immer und war abgrundtief unglücklich. „Ich bin der unglücklichste Mensch auf der Welt. Niemand liebt mich. Ich habe so gelitten. Ich bin ganz besonders.“ So dachte sie und wunderte sich, als ein weiser Mann zu ihr sagte: „Wenn ich dir zuhöre, fällt mir nur eines ein: Kindskopf!“ Die Frau verstand nicht, aber sie fühlte eine große Stille, die sie anzog. Sie ging zu dem Mann in die Lehre – viele Jahre. Ganz allmählich getraute sie sich, die Waffen niederzulegen und zu lauschen, was der Lehrer sprach. Sie hörte etwas, das unendlich kostbar war und sie an etwas erinnerte, dass sie immer wusste, aber vergessen hatte: Eines Tages gingen ihr die Augen auf und sie erkannte, die Herrlichkeit des Herrn war in ihr eingezogen – schon immer, genauso wie in allen anderen. Gott wohnte in ihr. Das war es, was das kleine Mädchen gesucht hatte und nicht fassen konnte! All die Liebe, alles war innen. Nun war die Frau keine Prinzessin auf der Erbse mehr. Sie konnte neu anfangen zu leben – mit Gott.



Die kleine Prinzessin und ihre Suche nach dem Ort der wahren Erfüllung

Vor langer Zeit lebte in einem sehr großen Königreich eine kleine Prinzessin. Der Hof, an dem sie lebte, barg viel Schönheit. Die Menschen waren, neben den kleinen alltäglichen Unpässlichkeiten, glücklich, hatten genug zu essen, genossen die Gesellschaft, ihr einfaches Leben und vor allem – sie liebten und bewunderten ihren König. Dieser war ein kluger und großherziger Mann, der für jeden ein offenes Gehör hatte. So kamen viele Menschen an den Hof, auch aus fernen Ländern, um sich beim König Rat zu holen. Die kleine Prinzessin sah Tag für Tag neue Gesichter den Palast betreten und geduldig auf die kostbare Zeit mit dem König warten. Nur sie war todunglücklich und wütend, denn für sie hatte ihr Vater kaum Zeit. Obwohl dieser sie sehr liebte und sie nie aus den Augen verlor, genügte ihr das nicht. Sie sträubte sich gegen ihr einfaches Sein zu Hofe und träumte von einem glücklicheren Ort, an dem sie endlich die Liebe bekäme, die ihr aus ihrer Sicht zustand. So geschah es eines Nachts, dass sie sich heimlich aus dem Palast schlich, sich auf ihr wildes Pferd schwang und davonritt. Sie wusste nicht, wohin. Das einzige, was sie führte war ihr Sehnen nach dem Ort, an dem sie die wahre Erfüllung finden würde. Es musste irgendwo da draußen etwas geben, was dieses tiefe innere Loch in ihr heilte. Natürlich fühlte sie auch Schmerz darüber, ihren geliebten Vater zu verlassen, aber schließlich war er ja selbst schuld daran. Schnell verblassten auch die Erinnerungen an den heimischen Hof und den Vater.

Auf ihrer Reise erlebte sie viele spannende Abenteuer. Die Welt war so vielfältig, das gefiel der Prinzessin sehr! Je weiter sie ritt, je mehr sie erlebte, desto sehnlicher wurde ihr Verlangen nach weiteren Abenteuern. Es war wie ein unersättlicher Zwang, dem sie erlag, nach noch aufregenderen und waghalsigeren Erlebnissen. Sie konnte einfach nicht anhalten. Kaum an einem neuen Ort angekommen, erschien es ihr jedes Mal, als würde dieser einzigartige Ort, der ihr die erhoffte Erfüllung bringen würde, doch noch woanders sein. Sie suchte immer weiter und weiter, bis sie eines Tages ans Ende der Welt gelangte. Ein gewaltiger Abgrund tat sich plötzlich vor ihr auf. Ihr Pferd sträubte sich vor Schreck, warf die kleine Prinzessin ab und stürzte in die Tiefe. Da lag sie, mit schmerzenden Knochen, mutterseelen-allein vor einem gewaltigen schwarzen Schlund. Hier kam sie nicht weiter. Ihr wurde ganz mulmig zu Mute und sie bekam große Angst. Wo sollte sie jetzt hin? 

In ihrer Verlorenheit brach sie jämmerlich in sich zusammen. Schlagartig wurde es ihr bewusst: Sie hatte den Ort ihrer sehnlichsten Wünsche nie erreicht und sie würde ihn auch niemals erreichen. Sie fing bitterlich zu weinen an. Das Gefühl von Schmerz, welches sie ganz weit weggedrängt hatte, brach in einer gewaltigen Intensität wieder auf. 

In dem Moment hörte sie eine vertraute Stimme aus der Ferne immer näher kommen: „Kind, wach auf! Wach auf!“ Sie spürte eine große warme Hand auf ihrem Gesicht. Benommen öffnete sie ihre Augen und sah in das liebende Gesicht des großen Königs – ihres Vaters. „Du hast geschlafen, Kind, komm wieder zu dir!“, sprach er in seiner Weisheit und lächelte sie an. 



Die Prinzessin die auszog, um die Liebe zu finden

Es war einmal eine Prinzessin. Sie lebte in einem goldenen Schloss, in einem weit, weit enfernten Land. Und obgleich der König und seine Frau, so wie der gesamte Hofstaat sich sehr bemühten und alle Kostbarkeiten des Landes herbeitrugen, so vermochte doch nichts davon die Leere ihres Herzens zu füllen. Und wie die Prinzessin so dastand und in süßer Schwermut in die Ferne blickte, da kamen drei Raben angeflogen. Sie setzten sich auf die Fensterbank und krächzten: „unerkannt, ungeliebt, unerlöst.“  

Da beschloss die Prinzessin auszuziehen, um geliebt zu werden. Denn darin, so dachte die Prinzessin, musste doch Erfüllung zu finden sein. Und wahrlich, sie tat alles, um die Herzen der Menschen zu gewinnen. Doch obschon sie sich genauso verhielt wie die Bewohner des Dorfes es schätzten, so fühlte sie sich doch falsch. Und wenngleich sie für ihre Schönheit bewundert wurde, so fühlte sie sich doch nicht gesehen. Und wie sie so einer Bettlerin gleich durch die Lande zog, fühlte sie sich doch nicht geliebt. Schließlich wurde sie sehr zornig und beschloss, es an Stärke mit den Mächtigsten des Landes aufzunehmen. Und dabei vergaß die Prinzessin beinahe, weshalb sie ausgezogen war. Doch so sehr sie sich auch mühte, nichts von alledem vermochte die Leere ihres Herzens zu füllen. Und als sieben Jahre vergangen waren, da kamen die Raben abermals angeflogen und krächzten: „unerkannt, ungeliebt, unerlöst“.

So machte sich die Prinzessin erneut auf den Weg, um nun endlich der Liebe zu begegnen. Denn darin, so dachte die Prinzessin, musste doch Erfüllung zu finden sein. Da aber erschien ihr ein wunderschöner Prinz. Und wahrhaft, er wusste um die Liebe. Als die Prinzessin das sah, legte sie ihm ihre Krone zu Füßen. Und sie küssten sich innig. Doch ehe der Morgen graute, da war der Prinz verschwunden und mit ihm auch die Gewissheit um die Liebe. Die Leere im Herzen der Prinzessin aber war größer denn je. Da flogen die drei Raben abermals herbei, setzten sich auf die Fensterbank und krächzten: „unerkannt, ungeliebt, unerlöst“.

So ging die Prinzessin ihres Weges und viele Jahre strichen ins Land. Vielleicht war es die tief und ehrlich empfundene Sehnsucht nach sich selbst. Vielleicht aber war es letztlich Gnade, die ihr keine Wahl und keinen Ausweg mehr ließ. So geschah es schließlich, dass die Prinzessin innehielt. Sie setzte sich auf einen Stein am Wegesrand und ward still. Und alle Schleier fielen von ihr ab. Und wie sie so dasaß, nackt, und ihre Füße die Erde berührten, da fehlte nichts. Und die Liebe ward offenbar. Als all das. Als immer schon. Als nirgendwohin. Und in einem einzigen Augenblick war alles verziehen. Die Raben aber flogen ins Licht der Sonne, bis sie irgendwann in der unendlichen Weite des Himmels aufgingen.

Und ob sie gestorben sind oder nicht, es ist die Liebe! – ewiglich.



Märchen in der 3. Person über eine Prinzessin, die auszog, um geliebt zu werden. Was sie alles versucht hat, was aus ihrem Wesen wurde und was geschah.

Es war einmal, vor langer, langer Zeit eine Prinzessin namens Pasja. Sie war im besten Alter und von besonderer Schönheit. Noch beschenkte sie, als jüngste Tochter, den königlichen Palast und ausnehmend ihren treusorgenden Vater durch ihre Anwesenheit im Schloss. Mit jeder durchwachten Nacht wurde ihr jedoch unmissverständlich klar, dass nun bald der Tag des Abschieds und der Ablösung anstehen würde und sie ihr Herz einem zukünftigen Bräutigam öffnen sollte. Einer, der ihr täglich bestätigen würde, wie wichtig und einzigartig sie sei. Einer, der ihr ihre Träume und Wünsche von den Lippen ablesen würde. Einer, der ihr seine ganze Zeit schenken würde und einer, der sie um ein Tausendfaches mehr liebte als dass sie dies selbst imstande war. Die Sehnsucht einen derartigen Prinzen zu finden war groß und sie liebäugelte immer öfter damit. Nach elf Vollmonden und einigen missglückten Versuchen tauchte er auf, ihr Traumprinz. Amors Pfeil traf die Beiden mitten im Herzen. Der junge Mann beglückte Pasja mit tiefsinnigen Liebeserklärungen und sie schenkte sich ihm ganz mit ihrer Sinnlichkeit und indem sie ihn überall hinbegleitete und somit ihre Bedürfnisse zurückstellte. 

Nach geraumer Zeit freute sie sich, ihrem Traumprinzen ihr Ja-Wort geben zu können und damit ihren Vater stolz zu machen. In großer, von Prominenz geschmückter Gesellschaft erlebte das Paar eine unvergessliche Hochzeit und nichts auf der Welt – so schien es – würde jemals ihr Glück trüben können. 

Doch schon nach einiger Zeit verdunkelte sich das Gemüt der Geehelichten. Neid und Eifersucht ihrem landauf-landab vielbeschäftigten und erfolgreichen Gatten gegenüber machten sich breit und ließen die einst so strahlende Schönheit verblassen und erblinden. Natürlich ließ sich dies die edle Königstochter nicht anmerken und behielt es ganz für sich. Nur nachts, wenn niemand ihr Schluchzen hören konnte, ließ sie ihrem Kummer freien Lauf. War es womöglich nicht der Richtige gewesen? Weshalb war sie nicht mehr das Wichtigste für ihn? War wohl die Liebe verflossen oder gar in eine andere Richtung gelenkt? 

Mit jedem Sonnenaufgang kam das nagende Gefühl der Verlassenheit zurück und die Adelige versuchte mit allen Kräften, ihrem Gatten ein noch bezaubernderes Lächeln als am Tag zuvor zu schenken und ließ ihm noch edlere Speisen zubereiten. Das doch so gut gemeinte Interesse stieß auf keine Resonanz. Ebenso blieb ihre einem Aushorchen ähnelnde Fragerei unbeantwortet. Sie kam zur Einsicht, dass es wohl an ihrer Attraktivität liegen müsse. Also beschloss sie kurzerhand, ein Studium in Angriff zu nehmen sowie zwei Sprachen neu zu erlernen. An den Abenden trimmte sie sich fit und morgens in der Früh gab sie ihre einstudierten Cellotöne zum Besten. 

Sie versuchte mit allen Mitteln, ihre große Liebe zurückzugewinnen. Doch alle noch so vielversprechenden Bemühungen halfen nichts. Nichts auf der Welt – außer seiner Liebe – würde sie je wieder glücklich und vor allem vollkommen fühlen lassen. 

Das Loch in ihrem Herzen vergrößerte sich von Tag zu Tag und eine große Leere breitete sich in ihrem Inneren aus. 
Eine gefühlte Ewigkeit im «grauen Gefühl» verging und somit ist klar: Wenn sie nicht gestorben ist, so sucht sie noch heute.



Prinzessin ANDERS

Jeden Morgen lief Prinzessin Anders frohen Herzens, barfuß durch ihren wilden Schlossgarten, sang mit den Tieren und fühlte sich liebkost von der Zartheit des Windes, der durch ihr goldenes Haar wehte. Eines Morgens jedoch blickte sie in einen Spiegel und eine strenge Stimme ertönte in ihrem Kopf: „Prinzessin, du musst anders werden! Klüger, schöner und reicher! Dann bist du was ganz Besonderes und dafür wirst du geliebt werden!“ Prinzessin Anders fühlte plötzlich eine Enge in ihrem Herzen. Die Stimme musste wohl recht haben. Irgendetwas war da falsch an ihr. Gerade gestern tadelte sie ihr Vater, dass es nicht rechtens war, so wie sie sich benahm, und dass es nun wirklich an der Zeit war, anders zu werden. Sie beschloss auf Reisen zu gehen, um die Welt zu erkunden und dadurch klug und intelligent zu werden. Sie unterzog sich etlichen Schönheitsoperationen und Diäten und strengte sich dafür mordsmäßig an. Sie strebte nach einem perfekten Bild von Schönheit und Klugheit, das ihr in ihrem Sinne Liebe versprach. Sie erhoffte sich dadurch die Erfüllung ihres größten Wunsches: Ihren Traumprinzen zu finden, der nur sie liebte und keine andere. Nach langen Jahren der Jagd anders und immer besser zu werden, musste sich die Prinzessin jedoch eingestehen, dass all ihre Bemühungen erfolglos blieben. Alle Prinzen, in die sie sich verliebte, zogen immer andere Frauen vor. Was hatten die, was sie nicht hatte? Neid und Hass begannen immer mehr von ihr Besitz zu ergreifen. Diese saßen wie ein Stachel in ihrer Brust, der langsam, aber todsicher, sein Gift in die Mitte ihres Herzens ergoss und dieses verbittern und erkalten ließ. Dieses Gift beinhaltete auch, dass sie insgeheim Lust empfand an dem Streben, anders zu werden. Sie fühlte sich dadurch mächtig und es versprach ihr eine Unverletzbarkeit, auf die sie nicht verzichten wollte. In manch schwacher Stunde konnte sie aber nicht leugnen, dass sie sich dadurch sehr einsam fühlte. Eines Tages hörte sie von einem Zauberwald, in dem angeblich eine alte Frau wohnte, die all ihre Wünsche erfüllen könnte. Auf der Suche nach ihr stürzte die Prinzessin in einem Moment von trallala über eine Wurzel und verletzte sich am Bein. Als die Nacht anbrach, schaffte sie es gerade noch ein Schlaflager zu bereiten. Während sie sich am Feuer wärmte, stand plötzlich der Tod in Form einer alten hässlichen Frau vor ihr. Die Prinzessin konnte nicht fliehen und ihre Verletzung zwang sie, sich ganz ihrem Schmerz, ihrer Angst und ihrer Bedürftigkeit hinzugeben. Zum ersten Mal begann sie um Hilfe zu bitten und schüttete zudem dieser alten Hexe ihr Herz aus. Das war ihr unangenehm. Aber eine innere, ihr unbekannte Kraft, der sie in diesem Moment von Schwäche nichts entgegen setzen konnte, forderte sie auf, das zu tun. Da machte sie eine interessante Beobachtung: je ehrlicher sie über sich selbst sprach, desto mehr verwandelte sich die Frau in eine Schönheit und ihr selbst wurde immer leichter und wärmer ums Herz. Der Bann war gebrochen und ein Meer von Tränen wusch das Herz der Prinzessin rein. Danach konnte sie die Vögel wieder singen hören und nach langer Zeit den Wind wieder liebevoll in ihren Haaren spüren. Der Tod nahm zärtlich ihre Hände, blickte ihr in die Augen und sagte: „Prinzessin Anders, ich verrate dir ein Geheimnis: In Wahrheit ist alles ganz anders.“ 



Die Prinzessin, die auszog, um geliebt zu werden

Am Abend vor ihrer Abreise schaute die Prinzessin sehnsüchtig schwelgend aus dem Fenster auf die blutrot am Horizont verschwindende Sonne und lächelte, denn sie wusste: irgendwo da draußen wartet das perfekte Glück auf sie. Morgen würde sie einfach ins Unbekannte losziehen, einer geheimnisvollen Mission folgend, endlich zu finden, was ihr in Wahrheit zusteht. Ach, wie unglaublich schön wird es sein, wenn sie sich endlich eingebettet und getragen fühlt, in der Gewissheit, dass sie geliebt wird, genauso wie sie ist!

Noch vor Tagesanbruch stahl sie sich aus dem Schloss. Es war ihr nun doch etwas mulmig zumute, und sie kämpft gegen die aufkeimende Verlorenheit an, die sie so gut kannte. Sie versuchte tapfer zu sein und verscheuchte ganz fleißig jeden kleinen Gedanken, der ihr die Möglichkeit des Scheiterns einzuflüstern versuchte. Diesmal wird sie es schaffen, da war sie sich ganz sicher.

Die ersten Tage waren schwierig, nirgends war sie so willkommen, wie sie es sich vorgestellt hatte. Am meisten betrübten sie die Blicke der Menschen, die ihr immer von neuem das quälende Gefühl falsch zu sein suggerierten. Wonach suchte die Frau nur – etwa nach einem Prinzen? Sie hörte die verhöhnenden Sprüche mit ihren inneren Ohren schon von weitem. Der so gut verheimlichte Selbsthass begann sich ins Bewusstsein zu drängen und sie schleppte sich mit letzter Kraft zu einem kleinen Haus am Waldrand. Ob hier endlich ihre rastlose Suche enden würde? Sie wünschte es sich so sehr. 

Nach mehrmaligem zögerndem Klopfen ging die Türe auf und die Prinzessin traute ihren Augen nicht! Sie sah einer Frau in die Augen, die genau so aussah wie sie selbst. Wie kann das sein? Den Tränen nah und in großer Angst, nach all dieser Anstrengung nun doch verrückt geworden zu sein, warf sie sich in die Arme der Frau und verlor das Bewusstsein. Nach ein paar Stunden wachte sie auf und schaute sich um. Sie war allein. War das alles wieder nur ein Traum gewesen? 

Hastig und laut seufzend zog sie ihre hübschen Kleider an, die ihr so vertraut waren und die ihr eine gewisse Sicherheit gaben. Sie musste sich beeilen und die Frau finden, die sie zuvor hier empfangen hatte. Sie war sich ganz sicher, dass sie der Schlüssel zu ihrem Glück war! Nie zuvor fühlte sie sich so angekommen, wie in diesem verrückten Moment von Angesicht zu Angesicht mit dieser Frau. Wer ist sie? Wie kann sie ihr so gleichen? Ob sie einen Mann hat? Was würde sie ihr erzählen können? Ob sie glücklich ist?

Wie besessen suchte die Prinzessin in den nächsten Monaten nach der Frau. Mal hoffnungsfroh, mal hoffnungslos, aber immer bestrebt ihr Ziel zu erreichen, koste es, was es wolle. Sie verschloss sich jedem Kontakt zu anderen Menschen, zog rastlos durch enge dunkle Gassen und durch kalte dichte Wälder, verweilte nirgends lange und verhärtete ihr Herz gegenüber jeder Form von Schwäche. Ganz tief innen fühlte sie sich leer, unzulänglich und zutiefst verloren. An der Oberfläche wahrte sie den Schein einer zielstrebigen und erfolgreichen Mission so gut, dass sie es sich selber manchmal sogar glaubte.

Nach mehr als zwei Jahren hatte die Prinzessin endgültig vergessen, wofür sie ausgezogen war und sie fiel in eine tiefe Depression. Am tiefsten Punkt, an dem die Schwärze nicht mehr schwärzer werden konnte, drang auf einmal ein kleiner Lichtblick der Wahrnehmung durch den schweren Vorhang ihres Elends und sie hörte leise das Wort „Selbstliebe“. War es nicht die Liebe, nach der sie ursprünglich suchte? Zum ersten Mal war sie sich nicht mehr sicher, ob sie überhaupt wusste, was Liebe ist. Ein feines und waches Interesse kehrte ganz sanft zurück und sie wusste ganz intuitiv, dass sie angekommen war – auf dem Weg zurück zu ihr selbst. 

Das Schloss, die Kleider, die Suche – all das war weit weg, verschwunden und unwichtig geworden. Immer noch zitternd, erschöpft und körperlich bis auf die Knochen ausgemergelt, beschloss sie das leere Haus am Waldrand zu beziehen, und sich von der Liebe lehren zu lassen. Nun konnte die Reise beginnen.